Breaking the Silence I: Der Zorn des Mdachi bin Sharifu

Mdachi bin Sharifu, Sammlung S. Noack

Herbst 2017. Ungezwungen sitzen wir bei einem Kaffee mit seiner Exzellenz Dr. Abdallah Saleh Possi, dem Botschafter Tansanias in der Bundesrepublik. Wir reden über unsere Pläne für eine Ausstellung zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika vor 100 Jahren. Sie soll die verwobene deutsch-tansanische Geschichte kritisch thematisieren und vor allem an den in Deutschland verdrängten Ersten Weltkrieg im damaligen »Deutsch-Ostafrika« erinnern.

Nach unserer Erklärung holt der Botschafter drei alte Kisten aus dem Schrank. Sie waren noch vor seiner Amtszeit kommentarlos in der Botschaft abgegeben worden. Niemand erinnert sich mehr so genau wann und von wem. Darin befinden sich knapp 250 historische Fotoplatten aus Glas. Der Großteil der Bilder wurde, so scheint es, privat aufgenommen. Man sieht mehr oder weniger deutlich inszenierte Alltagssituationen aus dem Farmleben in »Deutsch-Ostafrika«. Andere zeigen Motive, die uns bekannt sind. Sie müssen später ergänzt worden sein. Auf vielen sieht man ostafrikanische Söldner des deutschen Kolonialregimes.

Foto: D. Kovalenko, 2018

Schließlich findet sich im Schrank auch eine dazugehörige Publikation. Auf der Grundlage der Tagebücher des Plantagenbesitzers Karl Vieweg erzählt dessen Sohn Burkhard von den Erlebnissen seines Vaters in der Kolonie. Schnell wird deutlich, dass es eben dieser Siedler war, der zwischen 1910 und seiner Einberufung zur »Schutztruppe« im August 1914 die Diasammlung angelegt hat. Sein Sohn sieht den Verlust der Pflanzung – des „stolzen Besitzes“ seines Vaters – als unverdiente Tragödie an. Für ihn stellt sich die Kolonialherrschaft der Deutschen noch 1996 als vielversprechender Beginn einer wohlmeinenden »Entwicklungshilfe« für das heutige Tansania dar. In dieser war er in den 1970er Jahren selbst länger aktiv.

Wie umgehen mit einer solchen Sammlung, mit diesem „Erbstück“, das nun auf wundersame Weise zu den Nachfahren der Kolonisierten »zurückgekehrt« ist? Wie arbeiten mit einem Begleitband, der alles andere als eine kritische Geschichtsschreibung betreibt? Wir haben uns entschieden, in dieser ersten Version unserer Ausstellung acht der originalen Glasplatten zu zeigen, diese jedoch ausführlich zu kommentieren. Dabei konfrontieren wir den kolonialen Blick der Fotografen mit den bis heute marginalisierten Lebenserfahrungen und Stimmen Kolonisierter vor 100 Jahren.


„Seine Aufzeichnungen aus acht Jahren Ostafrika-Erfahrung mögen auch dazu dienen, der oft gehörten Behauptung entgegenzutreten, die Kolonie sei von den Deutschen ausgebeutet worden.“  – 
Burkhard Vieweg über die Tagebücher seines Vaters, 1996

 

Die Wanderausstellung “Breaking the Silence I – Der Zorn des Mdachi bin Sharifu” wurde von November 2018 bis Januar 2019 als Teil der Gesamtausstellung “THE DEAD, AS FAR AS [    ] CAN REMEMBER” (Kurator: Felix Sattler) im Tieranatomischen Theater TaT der Berliner Humboldt Universität gezeigt. Sie wanderte dann im September 2019 zu unseren Mitstreiter*innen von Kassel postkolonial (Universität Kassel und Sandershaus). Auf Einladung von Entschieden gegen Rassismus und Diskriminierung e.V. konnten wir sie von November bis Dezember 2019 an der Fachhochschule Bielefeld präsentieren. Von Oktober 2020 bis Juni 2021 wird sie in Kooperation mit Decolonize Erfurt in der Kleinen Synagoge gezeigt.

Karl Viewegs historische Glasdiasammlung:8 Bildbeschreibungen

Bild 1 
„Ferner stehe ich auf dem Standpunkt, dass für jetzt und absehbare Zeit von einer Rassenjustiz nicht abgesehen werden kann.“
Bernhard Dernburg, Staatssekretär im Reichskolonialamt, 1908

Bild 2 
„Die Arbeit war überaus hart, voller Leiden, aber der Lohn war die Peitsche. Und dann sollten wir dem Deutschen auch noch Steuern zahlen. Waren wir denn keine Menschen?“
Zeitzeuge Ndundule Mangaya, 1968

Bild 3
„So bin ich, weil ich nach deutschem Gesetz eine rechtsgültige Ehe geschlossen habe, durch die Organe der deutschen Regierung aus meiner Heimat Deutsch-Ostafrika verwiesen und hier in Deutschland brotlos gemacht worden.“
Mtoro bin Mwinyi Bakari, 1906

Bild 4
„Wir schleppten alle Lasten auf unseren Köpfen […] Wir schleppten auch die Deutschen selbst.“
Zeitzeuge Andrea Msegu aus Ukaguru, 1968

Bild 5
„Dabei möge man sich aber als Richtschnur den Grundsatz dienen lassen, dass der Wilde erst die Überlegenheit unbedingt anerkennen muss, bevor man ihm Güte zeigt, da er letztere sonst leicht als Schwäche auslegen würde.“
Hermann von Wissmann, 1895

Bild 6
Ostafrika hatte für Lettow-Vorbeck keine eigene Bedeutung. Seine Aufgabe bestand nur darin, Deutschland zu dienen, in dem es so viele feindliche Truppen wie möglich von wichtigeren Schauplätzen des Krieges fernhielt.
John Iliffe, Afrika-Historiker, 1979

Bild 7
„Ihre Herrschaft war extrem hart; ihre Askari waren gefürchtet wie böse Götter, wohin sie auch kamen.“
Zeitzeuge Daniel Makamba aus Ukaguru, 1968

Bild 8
„Gottlob ging mir als Afrikaner der Ruf von Rücksichtslosigkeit voraus.“
Paul von Lettow-Vorbeck, 1957, über seine Rolle als reaktionärer Freikorps-Kommandeur 1919/20

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