Human Remains
Viele deutsche Touristen, die Tansania bereisen, sind erstaunt über die zahleichen gut erhaltenen Grabstätten deutscher Kolonialisten im Land. Obwohl sich dort viele von ihnen als brutale Kolonialherren aufgespielt und teilweise schwere Kriegsverbrechen begangen haben, werden die meisten ihrer Gräber gepflegt und in Ehren gehalten. Auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. engagiert sich für ihren Erhalt.
Im skandalösen Gegensatz dazu steht der Umgang mit den Vorfahren von Tansanier*innen in Deutschland. Verstorbene oder Ermordete bzw. deren Körperteile sind vor 100 Jahren für rassistische Forschungen in großer Zahl ins Deutsche Kaiserreich verschleppt worden. Seit damals liegen ihre Gebeine in Pappkartons verpackt in den Sammlungsregalen hiesiger Museen und Universitäten. Teilweise werden sie bis heute für Ausstellungs-, Lehr- und Forschungszwecke missbraucht.
Erst vor kurzem hat die staatliche Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als erste deutsche Institution offiziell bekanntgegeben, wie viele Ahnen aus der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ damals in ihr Ethnologisches Museum verschleppt wurden. Die Stiftung hat sich zudem endlich zur Rückgabe bereit erklärt. Wir betrachten diese Ankündigung als großen Schritt auf dem Weg zur überfälligen Restitution, für die wir uns seit mehr als einem Jahrzehnt einsetzen.
Denn unsere erste größere Initiative zur Rückführung der in „Deutsch-Ostafrika“ geraubten Vorfahren geht schon auf den 100. Jahrestag des Maji-Maji-Krieges 2005-07 zurück. Gemeinsam mit anderen NGOs in Deutschland haben wir damals die deutsche Regierung in einer öffentlichen Resolution zu ihrer unverzüglichen Herausgabe aufgefordert. Doch trotz aller Versprechen und Zusagen hat sich danach so gut wie nichts getan: bis heute ist noch keine einzige Ahnin, kein einziger Vorfahre nach Tansania zurückgekehrt.
Erst jetzt, nach Jahren der Intransparenz, erfährt die Welt, dass die SPK Hunderte von ostafrikanischen Menschen in ihrem Depot liegen hat. 264 stammen aus Tansania, aus Ruanda sind es sogar über 900 Individuen. Hunderte weitere, soviel haben wir weitgehend selbst herausfinden müssen, liegen in den zahlreichen anderen deutschen Sammlungen in Leipzig, Dresden, Göttingen, Freiburg, Köln. Auch Museen in Frankreich und in den USA haben Ostafrikaner*innen bzw. deren Körperteile in ihren Depots.
Wir wissen leider bis heute nicht genau, woher die Gebeine der Stiftung Preußischer Kulturbesitz stammen, denn die SPK weigert sich konsequent, uns die Ergebnisse ihrer Forschung auszuhändigen. Sie ist bis heute nicht bereit, uns die Listen der Vorfahren zu zeigen, deren Gebeine verschleppt wurden. So brauchte es schon eine Oppositionsanfrage im Bundestag, um von der Bundesregierung zu erfahren, dass Angehörige von nicht weniger als 17 ostafrikanischen Gemeinschaften in den Berliner Depots zu finden sind. Betroffen sind Wabondei, Wachagga, Wadigo, Wahehe, Wamassai, Wamwera, Wandonde, Wangindo, Wapare, Wasandawi, Wasambaa, Waswahili, Wanyaturu, Watutsi, Watwa, Wagogo und die Wakinga.
Wir haben von Menschen in Deutschland in letzter Zeit oft hören müssen, dass sie keine Schuld an den Verbrechen ihrer Vorfahren vor mehr als 100 Jahren tragen würden. Dem können wir voll und ganz zustimmen. Doch hier geht es nicht um persönliche Schuld oder Nichtschuld. Es geht um die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesländer und auch ihrer Bürger*innen Verantwortung für historisch bedingtes Unrecht in der Gegenwart zu übernehmen. Es geht darum, anhaltende koloniale Zustände zu beenden. Ostafrikas geraubte Ahnen müssen so schnell wie möglich zurückgegeben werden, damit sie – und ihre Nachkommen – endlich Frieden finden.
Medienspiegel
Die Zeit, 7.03.2018 “Hundert Glasperlen für einen Kopf”
Deutsche Welle, 6.04.2018 “Skulls and bones: A dark secret of German colonialism”
Migazin, 26.03.2019 “Unrechtmäßig erworbene Artefakte aus Kolonialzeit sollen zurück”
Süddeutsche Zeitung, 5.02.2020 “Ein Saurier und die Folgen”
Mai 2018: „Unter Kannibalen“
Beitrag von Mnyaka Sururu Mboro & Christian Kopp zum Tagungsband Unmittelbarer Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Universitätssammlungen, S. 35ff
2019: Working Paper; Human Remains in deutschen Sammlungen
Juli 2019: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von B90/Die Grünen
1.2.2020: “Unter moralischen Gesichtspunkten hätten diese Schädel nie hierhergebracht werden dürfen“, Stiftung Preussischer Kulturbesitz im Gespräch mit DPA