Offener Brief 2017

Foto: Oliver Feldhaus, 2014

Im Juli 2017, vier Jahre nach dem Start der von Berlin Postkolonial mitinitiierten Protestkampagne „No Humboldt 21!“, nimmt die Diskussion zur Aneignung von Kulturobjekten im Kolonialzeitalter endlich an Fahrt auf. Mit dem an die Leitung des Humboldt Forums gerichteten Vorwurf der Intransparenz und Inaktivität bzgl. des kolonialen Erbes der Stiftung Preußischer Kulturbesitz tritt die Kunsthistorikerin Prof. Bénédicte Savoy aus dem internationalen Beirat des bundesdeutschen Prestigeprojekts aus. Vier Monate später spricht sich der französische Präsident Emmanuel Macron in Ouagadougou für die „zeitweilige oder dauerhafte Rückgabe“ afrikanischer Kulturgüter an die Nachfahren ihrer Schöpfer aus.

Da sich die Bundesregierung dazu nicht äußert und weil der für uns bedeutsamste Punkt – der anhaltende kolonial-rassistische Missbrauch von Verstorbenen und Ermordeten aus aller Welt in deutschen Sammlungen – dabei kein Thema ist, veröffentlichen wir wenige Tage vor dem Start unseres Projekts einen Brief an die Bundeskanzlerin. Er wird innerhalb weniger Tage von über 80 Organisationen und zahlreichen Unterstützer*innen aus dem In- und Ausland unterzeichnet und findet auch in der breiteren Öffentlichkeit Resonanz.

Berlin, 18.12.2017

Betreff: Rückgabe von Kulturobjekten und menschlichen Gebeinen nach Afrika

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,

mit großem Interesse haben wir die am 28. November 2017 in Ouagadougou gehaltene Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Kenntnis genommen, in der er erklärte, nicht länger „akzeptieren zu können, dass sich ein Großteil des Kulturerbes mehrerer afrikanischer Länder in Frankreich befindet“. Wir begrüßen, dass die französische Regierung innerhalb der nächsten fünf Jahre in Zusammenarbeit mit den betroffenen afrikanischen Ländern eine „zeitweilige oder dauerhafte Rückgabe des afrikanischen Erbes“ ermöglichen will. Wir würdigen zudem Emmanuel Macrons Ankündigung, menschliche Gebeine, die einem kolonialen Unrechtskontext entstammen, nach Algerien zu restituieren.

Frankreich reagiert damit auf die sich intensivierende, kritische Debatte zum kolonialen Erbe, der sich auch die anderen Länder des Globalen Nordens nicht länger entziehen können. Denn es sind nicht nur französische Museen und Privatsammlungen im Zuge der Kolonisierung in den Besitz von hunderttausenden Kulturobjekten und von zehntausenden menschlichen Gebeinen aus allen Regionen Afrikas gekommen. Die Anzahl der afrikanischen Artefakte in den großen ethnologischen Museen Nordamerikas und Europas ist so hoch, dass über 90% aller Exponate noch nie gezeigt werden konnten. Die Menge an menschlichen Gebeinen aus Afrika ist so groß, dass die Museen angeblich auch 100 Jahre nach ihrer Aneignung noch immer nicht ermitteln konnten, von wo und auf welche Art und Weise sie in die Sammlungen gelangt sind.

Zur selben Zeit werden insbesondere die rituellen Objekte und die Gebeine der Vorfahren und Ahnen von Angehörigen der afrikanischen Herkunftsgesellschaften schmerzlich vermisst.

Deutschland kommt in dieser Situation eine Schlüsselrolle zu. Denn nicht nur findet sich hier die größte Dichte an Museen mit Kulturschätzen und menschlichen Gebeinen aus allen Teilen des afrikanischen Kontinents. In seiner Hauptstadt Berlin fand 1884/85 – auf Einladung der Französischen Republik und des Deutschen Reiches – die berüchtigte Afrika- oder Kongo-Konferenz statt. Dabei wurden die Regeln zur fast vollständigen Aufteilung Afrikas unter den europäischen Kolonialmächten ausgehandelt und damit erst die Voraussetzung für die systematische Aneignung von afrikanischen Kulturobjekten und sterblichen Überresten geschaffen.

Zum Beginn des Europäischen Kulturerbejahres 2018, das unter dem programmatischen Titel „Sharing Heritage“ steht, möchten wir Sie in Ihrer Funktion als deutsche Regierungschefin daher ersuchen, sich zur historischen Initiative des französischen Präsidenten zu positionieren. Im 100. Jahr nach dem Ende des deutschen Kolonialismus in Afrika darf die Bundesregierung zum Thema Restitution von rituellen Objekten und menschlichen Gebeinen aus kolonialem Unrechtskontext nicht schweigen.

Ohne eine transparente, transnationale und kritische Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe wird eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Menschen afrikanischer und europäischer Herkunft auch in Zukunft nicht möglich sein.

Mit freundlichen Grüßen

Mnyaka Sururu Mboro & Christian Kopp
Berlin Postkolonial
buero(at)Berlin-postkolonial.de

Den Brief mit allen Unterzeichnern und Unterstützern können Sie auf der Website NoHumboldt21 hier » einsehen.

Medienspiegel

Osnabrücker Zeitung, 19.12.2017 “Verein fordert Rückgabe afrikanischer Kulturgüter”
lonam.de, 23.12.2017 “Geraubte Objekte: Community appeliert an Merkel”
Süddeutsche Zeitung, 23.01.2018 „Exotik des Vertrauten“
Tagesspiegel, 5.02.2018 „Berlins verfluchte Schätze
Welt-Sichten, 15.03.2018 „Afrikas Erbe den Afrikanern“
Amnesty International, 21.03.2018 „Alles nur geklaut“